Das Schlimmste ist der Rauch
Quelle: Waiblinger Kreiszeitung vom 20.11.2017 / Heidrun Gehrke
Mehr als 100 Rettungskräfte im Einsatz / Zehn Unfälle in den letzten drei Jahren
Dichte Nebelschwaden, vermisste Personen, zwei Schwerverletzte, eine Frau in Panik, ein brennendes Fahrzeuggerippe, ein zerlegtes Fahrzeug, zersplittertes Glas und jede Menge Feuerwehrtechnik. Es gab viel zu sehen bei der Großübung im Leutenbachtunnel.
Viele hörten es am Samstagvormittag in den Nachrichten oder merkten es an der Umleitung am Samstagvormittag: Der Leutenbach-Tunnel war in beide Fahrtrichtungen voll gesperrt. Grund war eine Großübung von Feuerwehr, Polizei, Rettungs- und Sanitätsdienst. 105 Einsatzkräfte spielen ein Unfallszenario infolge eines brennenden Fahrzeugs durch: „Fahrzeugbrand im Tunnel mit Folgeunfall im Rückstau“, lautet der Titel der Großübung. Das Skript für die Übung ist für die Einsatzkräfte bewusst aufwendig gestaltet. Auf dem Programm stehen Brandbekämpfung, Menschenrettung, Personenbefreiung nach Verkehrsunfall – und das unter den erschwerten Bedingungen einer „unterirdischen Verkehrsanlage“, wie der Straßentunnel korrekt genannt wird.
Das Schlimmste ist der Rauch. Nicht auszumalen, wie schnell es im Ernstfall hier verraucht wäre. „Die Kunststoffe in den Fahrzeugen brennen schnell, es reicht bereits ein kleiner Brand aus, um viele Menschen in Gefahr zu bringen“, so Andreas Wersch, Pressesprecher der Feuerwehren im Rems-Murr-Kreis. Die Rauchausbreitung, die das auf Verrauchungsversuche spezialisierte Institut für Industrie-Aerodynamik aus Aachen mit Gasflammen von einem im Tunnel aufgebauten Regiewagen aus vorführt, sorgt im Ernstfall für Rauchgasvergiftungen und ist tödlich, so Wersch. Eine zusätzliche Gefahr gehe von schwarzem Glanzruß aus, der sich an den Wänden absetzt.
In Nullkommanichts verdüstert sich die Sicht
Die Übung gibt eine Vorstellung von den Gefahren, in die sich die Einsatzkräfte im Ereignisfall begeben müssten. Der Brandherd – das Gerippe des Fahrzeugs – ist irgendwo unter dichten Rauchschwaden verschollen. Er wird zu Übungszwecken mit einem Arrangement aus Blech und Reifenteilen simuliert. Obwohl es nur aufsteigender Kunstnebel aus Rauchgeneratoren ist, der den Tunnelabschnitt in Nullkommanichts verdüstert, ist die Stimmung bedrohlich. Der verrauchte Tunnelteil liefert beklemmende Bilder, einen Edgar-Wallace-Film könnte man in dem dichten Nebel drehen. Über den Verbleib des Fahrers werden nähere Details bekannt. Laut Übungsannahme ist es ihm noch gelungen, das Fahrzeug zu verlassen und in der Notrufbox einen Notruf abzusetzen. Kurze Zeit danach ist er bewusstlos zusammengebrochen. Rettungskräfte finden ihn im Laufe der Übung und übergeben ihn zur Erstversorgung in die Obhut der Rettungs- und Sanitätsdienste.
Koordiniert von der Tunnelleitzentrale und Kreisbrandmeister René Wauro fahren die Feuerwehren aus Leutenbach und Winnenden von beiden Seiten in den Tunnel. Atemschutzträger verteilen sich. Das erste Fahrzeug wäre vier Minuten nach Alarmierung am Einsatzort, innerhalb einer Viertelstunde wären die Einsatzkräfte im Ernstfall vor Ort. „In Minutenschnelle ist Hilfe da, aber wer einen Notfall erlebt und wartet, dem kommen die Minuten endlos vor“, so Wersch. Die Stoß- und Angriffstrupps, die als Erste eintreffen, machen sich als Erstes an die Brandbekämpfung. Weitere Rauchausbreitung muss unterbunden werden. Die Löschwasserversorgung wird an den Portalen und über Hydranten-Nischen im Tunnel gelegt. Die Einsatzkräfte nähern sich mit ihrem Fahrzeug nur auf einer Entfernung von 80 Metern dem brennenden Fahrzeug, die restliche Strecke laufen sie. Die Gefahr wäre bei der enormen Rauch- und Hitzeentwicklung zu groß, sagt Andreas Wersch. „Im freien Feld kann die Feuerwehr auf zehn Meter an den Brandherd heranfahren, im Tunnel ist das ausgeschlossen.“ Mit Zugstöcken macht sich der Erkundungstrupp parat. Weil sie keine drei Meter weit sehen, suchen sie mit den Stöcken den Boden nach vermissten Personen ab, sie treffen Vorkehrungen gegen eine „Desorientierung“. Im Einsatzfall würden Brandbekämpfung und Erkundung ebenfalls parallel laufen.
„Achtung, Achtung, eine wichtige Durchsage der Polizei“
Ein heftiger, eiskalter Wind zieht auf. Um den starken Rauch in Fahrtrichtung aus dem Tunnel zu bekommen, steigert die Tunnelsicherheitstechnik die Leistung der Entlüftung. Die den Anwesenden gewährte Kostprobe von der Kraft der Strahlventilatoren reißt beinahe die Mützen vom Kopf. Und das, obwohl die Lüfter bei der Übung nicht auf Maximalleistung laufen, wie Stefan Hein, der stellvertretende Straßenbauamtsleiter des Landkreises, verdeutlicht: „Die Entlüftung wurde reduziert, da der simulierte Rauch sonst nicht ausreichen würde, um eine realitätsnahe Verrauchung darzustellen.“
Der Lärm der Maschinen und Fahrzeuge klingt in der Tunnelröhre laut im Ohr, doch es gibt etwas, das noch lauter ist: „Achtung, Achtung, eine wichtige Durchsage der Polizei“, setzt sich eine schrille Frauenstimme über all den Krach hinweg. Die Lautsprecherdurchsage läuft mit voller Leistungs- und Lautstärke. „Sie muss hörbar sein, selbst wenn die Lüftung läuft“, so Stefan Hein. Diese Durchsage ist in Deutsch und Englisch zu hören und wird unmittelbar in die Radios aller Autos übertragen, die sich im Tunnel und im Bereich der Portale – dem Sendebereich der Tunnelsteuerung – befinden.
Feuerwehrmänner mit Atemschutzmasken laufen an einen weiteren Einsatzort. Durch den Fahrzeugbrand entsteht auf der stark frequentierten Bundesstraße schnell ein Rückstau. Zwei Fahrzeuge kollidieren. Vor einem ruft eine Frau in Panik um Hilfe. Im Fahrzeug ist eine Person eingeklemmt. Die Feuerwehr verschafft sich mit planvoller, hydraulischer Gewalt Zugang zu ihr. Nach den Feuerwehrschläuchen zur Brandbekämpfung werden jetzt gelbe und rote Öldruckschläuche für Spreizer und Schere über den Boden gezogen. Das Fahrzeug wird systematisch aufgeknackt, vom Kotflügel kommend krachen die Scharniere. Das Dach lässt sich nach dieser Bearbeitung beiseiteschieben wie der Deckel einer Thunfischdose.
„Es ist bedeutsam, dass Menschen auf den Notfall eingestellt sind“
Nach eineinhalb Stunden endet die Übung mit der Einsatzbesprechung vor der Lagetafel. Die geladenen Zuschauer, darunter auch Winnendens Oberbürgermeister Hartmut Holzwarth und der Leutenbacher Bürgermeister Jürgen Kiesl, kehren mit vielen Eindrücken zu ihren Fahrzeugen zurück. Peter Zaar, Leiter des Dezernats Bauen, Umwelt und Verkehr im Landratsamt, weist auf den hohen Sicherheitsstandard hin. „Es ist bedeutsam, dass Menschen in ihrer Freizeit auf jeden erdenklichen Notfall eingestellt sind.“ Die Zusammenarbeit der Einheiten belege eindrucksvoll, was an Sicherheitsmaßnahmen vorgehalten wird für den Ernstfall, der seit Eröffnung des Tunnels im Jahr 2009 zum Glück noch nicht vorgekommen ist.
So verhalten Sie sich im Notfall richtig
Richtiges Verhalten im Tunnel: Befahren Sie einen Tunnels stets mit Abblendlicht, halten Sie die Verkehrsregeln ein, wenden Sie niemals im Tunnel oder fahren rückwärts. Ferner: angemessener Sicherheitsabstand, nur im Notfall im Tunnel anhalten, unnötiges Abbremsen beim Einfahren in und Ausfahren aus dem Tunnel vermeiden. Im Notfall: „Bei Verlassen des Fahrzeugs Schlüssel stecken lassen!“
Damit bei Unfall oder Brand der Schaden möglichst gering gehalten werden kann, können sich die Verkehrsteilnehmer an folgenden Verhaltensregeln orientieren. Sofort Warnblinklicht einschalten, Unfallfahrzeug wenn möglich rechts oder am besten in einer Pannenbucht oder auf dem Pannenstreifen abstellen. Im Brandfall, wenn möglich, das Fahrzeug aus dem Tunnel herausfahren. Generell lautet die Regel, beim Verlassen des Fahrzeugs den Motor abzustellen und Zündschlüssel steckenzulassen. Beim Abstellen eine Gasse für Einsatzdienste frei halten, Ereignis an der nächstgelegenen Notrufstation oder per Mobiltelefon melden. Wenn ohne Eigengefährdung möglich: Nach Absetzen des Notrufs Brand bekämpfen. Falls eine Brandbekämpfung nicht möglich ist, den Tunnel schnellstmöglich über den nächstgelegenen Notausgang verlassen.